Wolfgang Temmel ist unser 40plus-Künstler des Jahres. Von ihm stammt auch unser Cover. Er sitzt seit dem 18. Lebensjahr im Rollstuhl, dennoch machen ihn Ausdauer und Beharrlichkeit zu einem geistigen Ausdauersportler. 40plus Redakteur Martin G. Wanko besuchte ihn in seiner Homebase.
„Ich betrachte mich als Homo Ludens“, spricht Wolfgang Temmel sehr zufrieden und will das Leben als Spiel sehen, indem er eine künstlerische Herausforderung mit einer spielerischen Leichtigkeit annimmt, und so nie Gefahr läuft, zerknittert, zerknüllt und erstarrt im Nirgendwo zu enden.
Der Peter Gerwin Hoffmann war’s!
Aber alles von Anfang an: Wie wird man eigentlich Künstler, Herr Temmel? „Indem man einen Kunsterzieher hat, der Peter Gerwin Hoffmann heißt“, antwortet Temmel, wie aus dem Rohr geschossen. „Dazu trug im Vorfeld auch die im ORF ausgestrahlte wöchentliche Malsendung, ‚Zeichnen, Malen, Formen‘ bei, wo man Einsendungen machen konnte und ich mehrmals einen Pelikan-Farbkasten gewonnen hab“, so der Künstler. Dazu kam der Onkel aus der Wiener Staatsdruckerei, der immer feines Makulaturpapier mitbrachte. Aber die Initialzündung war eben der Kunsterzieher, der sich auch gegen die resolute Frau Mama, die erste Standesbeamtin in Österreich, durchsetzte. Wolfgang Temmel wird zum Künstler.

Wies statt Wien!
Ein Lokalaugenschein: Vor Wolfgang Temmels Haus im weststeirischen Wies an der Durchzugsstraße knattern und rattern die Motoren, dass es eine Freud’ ist. Da braust ein Steyr-Traktor samt Anhänger vorbei und momentan fühlt man sich eher an die Triester Straße in Graz versetzt, als in die an sich beschauliche 4.279 Seelen-Gemeinde. Warum tut der Künstler sich das an, denkt man sich, der Mann lebte ja immerhin schon in London und New York City, während das nächste Vehikel an einem vorbeiknattert. „Ich bin seit 1971 querschnittgelähmt, so ist die Mobilität ein latentes und zugleich permanentes Problem. Schlussendlich stellte sich die Frage, gehe ich nach Wies oder nach Wien? Da fragte mich im richtigen Moment meine zukünftige Frau, ob ich das verlassene Schuhgeschäft ihrer Eltern in Wies brauchen könnte.“ Der Künstler nahm gerne an, auch im Wissen, dass Wies eben Wies sei. „Die Resistenz gegenüber der Modernität ist wie sooft im ländlichen Raum eine sehr große, aber ich habe hier räumliche Möglichkeiten, die preislich erschwinglich sind.“
Jedoch hinterließen auch Wies und die Weststeiermark Spuren: „Eine unbezahlbare Qualität hat die Natur. Schon vom frühen Arbeiten an hat mich immer die Natur und der Bezug zur Natur interessiert.“ Wolfgang Temmel bereichert gerne die Natur mit Objekten, zum Beispiel ein rundes, metallenes, mit Nieten versehenes Objekt. Würde man es im Wald um die Ecke vorfinden, würde man an ein Kriegsrelikt denken, auf alle Fälle auf etwas Gefährliches tippen und den Minenentschärfungsdienst rufen. Sicher ist sicher. Dieser würde sich wundern, denn hierbei handelt es sich um Wolfgang Temmels Geburtstagstorte aus Stahlblech, mit der Beschreibung: „1978, Stahlblech, steht im Freien und verrostet parallel mit meinem Leben“. Die Geburtstagstorte rostet in Temmels Garten auch heute noch vor sich hin, doch wenn wirklich ein Entschärfungsdienst mit schwerem Gerät gekommen wäre, könnte man dem Künstler wegen seines schelmischen Grinsen nicht böse sein. Denn im Grunde hat Temmel ein freudiges Gemüt.
Ein unausstehlicher Duft namens Melange
Dazu ist Wolfgang Temmel ein Multi-Künstler, denn er arbeitet mit unterschiedlichen Medien wie Fotografie, Installation, Malerei, Musik, Sound, Video, Zeichnung, Zeit – und Olfaktorik, also dem Geruchssinn. Wie das? „Nach wie vor eine meiner Lieblingsarbeiten! Im Kunstverein in Klagenfurt und in Slovenj Gradec habe ich eine Arbeit ausgestellt, die Melange heißt. Also bin ich in die Parfumabteilung vom Kastner hinein und habe nach Parfums gesucht, die mit ihren Anfangsbuchstaben das Wort Melange ergeben.“
Danach mischte Temmel die Inhalte dieser Flakons zusammen und kreierte so einen etwas anstrengenden Duft, Melange für Frauen und Männer. Melange unterlag dem Konzept, als WC-Duft in den auszustellenden Galerien zu fungieren: „Jetzt musste das Personal regelmäßig die WC-Anlagen besprühen“, erzählt der Künstler durchaus amüsiert, „wenn man bedenkt, dass ich den Geruch selbst kaum ertrug, kann man Melange durchaus als eine ironische Arbeit auf die Düfte bezogen sehen!“ Seine Kunstwerke fordern den Betrachter zu einer emotionalen Regung heraus, unter anderem zum Lachen. Wie auch die Melange. „Mir geht’s nicht per se um den Witz. Ich glaube nur, dass Humor ein Teil von mir ist. Lachen ist gesund, aber über jemanden lachen – da sind wir Österreicher Weltmeister – ist jetzt nicht mein Ding.“


Besessenheit und Ausdauer
Wie kommt der Künstler zu seinen Themen? „Mein Ansatz ist der, dass ich mich selbst überraschen möchte. Ein großer Zyklus, den ich zufällig begonnen habe, war eine künstlerische Auseinandersetzung mit auf den Pazifikinseln lebenden Insekten. Ich benannte den Zyklus Bebete. Bebete heißt auf Bislama, der Sprache der Pazifikinsel Vanuatu, Insekten.“ In dieses Thema stürzte sich der Künstler hinein, recherchierte wie nur geht und war eine Woche nicht mehr zu sehen. So wurde die Insektengeschichte ein riesiger Werkblock.
Von großer Besessenheit zeugen auch seine großformatigen Lichtnebel, entstanden in den letzten 10 Jahren, wie beispielsweise das Bild „Ein Lichtjahr“: Abertausende Striche ergeben auf dem schwarzen Indigo Grund eine Art Komet, der durch das dunkle Weltall rauscht. Oder bunte Objekte, auf dunklem Hintergrund, die womöglich aus der Tiefsee stammen könnten. „Das braucht dann schon einige Monate Zeit“, lässt der Künstler wissen.
50 Jahre Kunst-Temmel, was kommt da?
In drei Jahren kann Wolfgang Temmel auf ein 50-Jahre-Künstlerdasein zurückblicken. Und, juckt es schon unter den Fingernägeln? „Das dritte Album mit seinen Passengers steht noch aus, das wird dann From Home heißen“, antwortet der Künstler etwas überrascht. Und was hat Wolfgang Temmel sonst noch zum 50-Jahre-Temmel-Kunst-Jubiläum geplant? „Ansonsten noch keine Ahnung“, sagt er mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht.
Wolfgang Temmel ist seit 1977 als bildender Künstler in diversen Sparten aktiv. Er studierte Malerei in Graz, hielt sich längere Zeit in New York und London auf und lebt heute in Wies, AT. Er arbeitet mit unterschiedlichen Medien wie Fotografie, Installation, Malerei, Musik, Olfaktorik, Sound, Video, Zeichnung und Zeit. Zudem betrieb er einige Musikprojekte. Wolfgang Temmel ist Ukulele-Spieler, sein aktuelles Projekt, die bunte Truppe Passengers, brachte bereits zwei Tonträger heraus. „Island Sessions“ und „Windischer Ozean“ sind Meisterwerke der Zeitlosigkeit, wahrscheinlich auch deshalb immer aktuell.

