Die Bedeutung von Hefe erlebte spätestens während des ersten Lockdowns eine Renaissance. Denn ohne Hefe gäbe es keinen Wein, kein Bier und kein Brotbacken. Dabei können die mikroskopisch kleinen Pilze viel mehr als Fermentation: Hefe spielt eine große Rolle in unserer menschlichen Evolution, prägt als bioarchäologische Spur auf Kulturgütern unser historisches Verständnis der Vergangenheit und zählt zu einem wichtigen Werkzeug der modernen Biotechnologie. Daher widmeten die renommierten Künstler Anna Dumitriu und Alex May der Hefe nun eine eigene Ausstellung. „Fermenting Futures“ soll ab 09. März 2022 im Künstlerhaus Wien präsentiert werden.
Fermenting Futures vereint BioArt, digitale Technologien, Skulptur und Installationen mit dem Forschungsfeld der Biotechnologie und entstand in Zusammenarbeit mit einer Forschungsgruppe rund um Diethard Mattanovich vom COMET-Forschungszentrum acib GmbH und der BOKU Wien. „Um zu verstehen, wie sich die Fermentation von Hefe über Jahrtausende entwickelt hat, haben wir verschiedene Hefearten rekonstruiert und die Evolution von Hefe im Labor nachgebildet. Das erlaubt uns, Hefe für industrielle Anwendungen fit zu machen“, erklärt Mattanovich. Dieses Vorhaben passt zum Konzept der Künstler, „nicht nur die Geschichte der Hefe von ihren Anfängen bis heute aus kultureller, ästhetischer und historischer Sicht zu erzählen, sondern auch ihr das Zukunftspotenzial aufzuzeigen.“ Darunter die Fähigkeit einer neuen Biotech-Hefe, CO2 aus der Atmosphäre zu binden, um daraus Biokunststoff herzustellen.
Kunst gegen Klimawandel und Umweltverschmutzung
Das zentrale Kunstwerk von „Fermenting Futures“ wurde aus diesem aus CO2 produzierten Kunststofffilament 3D-gedruckt. „Das Kunstwerk fängt damit gleichzeitig Kohlenstoff ein und produziert daraus Kunststoff. Auf den ersten Blick löst es also ein Problem, während es gleichzeitig ein anderes schafft.“ Dieses Paradoxon kann dazu anregen, über die Erderwärmung durch zu viel CO2 in der Atmosphäre oder große Mengen an Mikroplastik in unseren Weltmeeren nachzudenken. „Da der hergestellte Kunststoff biologisch abbaubar ist, löst der Prozess in der Tat zwei Probleme gleichzeitig“, verrät Dumitriu.
Spuren der Wertschätzung
Das Werk „The Bioarchaeology of Yeast“ untersucht die von Hefen verursachten Spuren auf Artefakten menschlicher Kultur. „Als Lebensraum von extremophilen Pilzen, auch als schwarze Hefen bekannt, sind sie nicht etwas, das entfernt werden muss, sondern Objekte der ästhetischen Wertschätzung an sich“, so May. Um diese Wechselwirkung abzubilden, ließen die Künstler schwarze Hefekolonien monatelang im Labor komplexe morphologische Strukturen ausbilden. Aus deren Abbild wurden dreidimensional Skulpturen geschaffen, auf denen Organismen ihre farbenfrohen Spuren hinterließen.
Hefekultur(en)
Ein wesentlicher Teil der Ausstellung untersucht die Beziehung zwischen der Gärung zur Herstellung von Brot und Bier und der menschlichen Besiedlung. In einer künstlich geschaffenen Stadt metaphorischer Architektur tauchen eine Reihe von mit Brotkrumen verkrustete Architekturmodellhäuser auf, deren Räume möbliert und von winzigen Bildschirmen beleuchtet sind. „Ich wollte keinen leeren Ort zeigen, sondern vermitteln, dass es um lebendige Architektur geht, die sich mit der Zeit von Hütten zu riesigen Städten ausdehnte“, erklärt May.
Geschichte – neu erzählt
Die Künstler wollen ein Gefühl von Ehrfurcht und Neugier für die Hefebiotechnologie wecken und laden die Öffentlichkeit ein, mit den Werken zu interagieren und über unsere jahrtausendealte, historische Verbindung mit der Hefe nachzudenken. Dumitriu: „Es geht nicht nur darum, wie wir diese Organismen zum Besseren nutzen können, sondern auch Geschichte(n) aus einer künstlerischen Perspektive neu zu erzählen. Denn Erzählungen helfen uns, gemeinsam einen neuen Blick auf die Welt zu erlangen.“
Anna Dumitriu & Alex May
Fermenting Futures
ab 09.03.2022 | Künstlerhaus Wien
annadumitriu.co.uk/portfolio/fermenting-futures
www.k-haus.at
Text: Martin Walpot
Bild:Anna Dumitriu & Alex May