Auf zur Barcolana – echt jetzt?

Ein Klassiker: Die Barcolana, oder "hier darf jeder ..."
Massenevent Barcolana

Es war ein Freitag im Oktober des Jahres 1 der Covid-19-Pandemie, wenige Monate zuvor wurde in Italien der erste Lockdown verhängt. Der Virus wütete immer noch, Abstandhalten und Maskentragen war empfohlen beziehungsweise die Regel. In Triest stand die Barcolana vor der Tür, jene Segelregatta, die alle Jahre am zweiten Sonntag im Oktober ausgetragen wird, die als die größte der Welt gilt, tausende Teilnehmerboote und hunderttausende Besucher in die Stadt lockt. Seit Tagen waren die Vorbereitungen im Gange, allerorts wurde geschraubt und gehämmert, wurden Stände errichtet, täglich trudelten Segelyachten und Segelboote ein.

An diesem Freitagabend trauten dann viele von uns ihren Augen und Ohren nicht. Gegen 18 Uhr füllten sich Straßen und Fußgängerzonen mit Menschenmassen, etliche Lokale hatten DJ-Sets vorbereitet, in der via Diaz, zwischen Piazza Venezia, dem Meer und der via Torino stand sogar ein SUV mit geöffnetem Dach, aus dem ein DJ ragte, der seine Turntables bediente. Rund um ihn tanzten die Menschen, als gäbe es kein Morgen. Das alles unter den Augen der Polizisten, von denen man nicht wusste, ob sie einfach überfordert waren von den Massen, oder gar keine Anweisungen hatten, einzugreifen.

Das Virus gewinnt die Regatta

Wie dem auch sei: Tags darauf, ein Samstag, erkannte die Stadtverwaltung, welcher Fehler begangen wurde und verbot kurzerhand jegliche Outdoor-Veranstaltungen in der Stadt. Gleichzeitig verschlechterte sich das Wetter kontinuierlich. Und am Sonntagmorgen kam gar Bora scura („dunkle“ Bora), auf. Darunter versteht man ein seltenes Wetterphänomen, bei dem der heftige und eiskalte Fallwind namens Bora, der normalerweise die Wolken weg und den Himmel blau bläst, schlechtes Wetter, dunkle Wolken und Regen bringt. Die Bedingungen waren katastrophal, das Rennen musste kurzerhand abgesagt werden. Zwei Wochen später meldete Triest die höchsten Infektionszahlen in Italien, ein neuerlicher Lockdown wurde verhängt.

Vorausgegangen sind dem Desaster Wochen der Diskussionen, ob man die Veranstaltung überhaupt abhalten sollte angesichts der Pandemie. Durchgesetzt haben sich schließlich all die Restaurateure, Cafetiers und Barbetreiber, die trotz aller Gefahren nicht bereit waren, auf das umsatzträchtigste Wochenende des Jahres zu verzichten. Mit dem Resultat, dass sie während des Lockdowns erst recht schließen mussten. Zu dieser Zeit und in den Tagen danach begegnet man vielen von ihnen immer wieder, wie sie möglichst unauffällig, mit gesenktem Haupt und voller Scham durch die Straßen der Stadt huschten und Gesprächen auswichen.

Triest, wie man die Metropole an der oberen Adria kennt.

Über den Dächern von Triest…

Spätestens seit dieser verhängnisvollen und gefloppten Ausgabe ist mein Verhältnis mit der Barcolana gestört. Doch in Wahrheit war ich bereits zuvor alles andere als ein Fan der Veranstaltung. Dazu ist zu wissen, dass ich kein Segler und sowieso eine Landratte bin und mich Schiffsregatten irgendwelcher Art nicht interessieren. Wirt bin ich auch keiner, und auch kein Souvenirhändler, Hotelier oder in irgendeinem sonstigen Gewerbe beschäftigt, das an dem Event verdient. Auf mich als normalen Bürger hat die Barcolana also keinerlei Auswirkungen. Abgesehen davon, dass ich zumindest ein Wochenende nicht außer Haus gehen kann, es keinen Platz in einer Bar und keinen Tisch in einem Restaurant gibt, dass sich an den Supermarktkassen wie überall lange Schlangen bilden und alle, die an der Sache verdienen, gestresst und von Raffgier getrieben wirken.

Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass ich einmal eine wundervolle Barcolana erlebt habe. Damals hat mich ein Bekannter eingeladen in sein Haus weit oben am Karsthang, mit sensationellem Ausblick auf die Armada an Segelbooten, die über den Golf ziehen. Und mit eigenem Parkplatz im Haus. Den braucht es, weil auch die Karststraßen voll mit Menschen und geparkten Autos sind. Seit damals hoffe ich darauf, dass ich wieder einmal eingeladen werde. Bis dahin nutze ich das zweite Wochenende im Oktober für Ausflüge, etwa um nach Istrien, ins Friaul, nach Slowenien oder irgendwohin, aber jedenfalls raus aus Triest zu fahren.

Text: Georges Desrues

Fotos: © iStockphoto.com/EyeEm Mobile GmbH / © Pexels/Lorenza Magnaghi

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