Der Wilde Wein vom Karst

Georges Desrues über den Wein im Karst, oder wie man sogar mit dem Terrano Freundschaft schließen kann.

Der Terrano zählt zu diesen Weinen, deren Qualität man als »ortsbezogen« bezeichnen könnte. Was das bedeutet, ist schnell erklärt: Man stelle sich vor, man sitzt bei einem Winzer im Karst, in einem Weingarten, hoch oben über Triest, mit atemberaubendem Ausblick über die Hafenstadt, ihren Golf und die glitzernde Weite der Adria bis hin nach Istrien. Dabei nippt man an einem Glas lokalen Rotweins, eben diesem Terrano. Der ist ein dunkelroter Tropfen, der obendrein womöglich aus genau diesem Weingarten mit seinem spektakulären Ausblick stammt und mit seinem etwas hantigen Geschmack und seiner, nun ja, ausgeprägten Säure die Kargheit des Karstbodens widerspiegelt, in dem er heranwächst.

Unter solchen Bedingungen ist es fast unmöglich, dass einem der Wein nicht schmeckt. Von der Gesamtsituation mehr euphorisiert als vom Geschmack selbst, kauft man sechs Flaschen, nimmt sie mit nach Hause und öffnet sie Wochen später, etwa anlässlich eines Abendessens mit Freunden. Ihnen gegenüber schwärmt man von diesem außergewöhnlichen und tiefroten Wein, den man am Triester Karst entdeckt hat, und der seinen Ursprung, das sogenannte Terroir, so fabulös widerspiegelt. Nur siehe da: Aus seinem natürlichen Umfeld gerissen, spiegelt der Wein rein gar nichts wider, sondern schmeckt einfach nur hantig, dünn, nahezu körperlos, dafür mit furchterregender Säure. Spätestens jetzt wird einem klar, dass man sich hat täuschen lassen – von der Situation, dem Blick auf den Golf, dem Wein in jenem Weingarten, in dem er wächst.

Nur der Prosecco kommt nicht aus Prosecco

Aber in Wahrheit ist der Triester Karst auch nicht für seine Rotweine bekannt, sondern viel mehr für seine Weißen. Drei weiße Traubensorten gelten hier als autochthon: die Glera, die Vitovska und die Malvasia Istriana. Von der Glera heißt es, dass sie ursprünglich aus der Gegend um den Ort Prosecco, Slowenisch Prosek, stammt, der hier am Karst liegt. Die Sache mit dem klingenden Namen ist freilich kein Zufall. Tatsächlich muss der beliebte Massenschaumwein, der unter dieser Bezeichnung bekannt ist, zumindestens 70 Prozent aus Glera Trauben erzeugt sein, die ausschließlich im offiziellen Prosecco-Anbaugebiet kultiviert werden dürfen. Problem ist nur, dass der Ort Prosecco nicht im offiziellen Prosecco-Anbaugebiet liegt. So darf der Wein aus Prosecco folglich nicht Prosecco heißen. Und zwar selbst dann nicht, wenn er aus zumindest 70 Prozent Glera besteht. Was freilich ziemlich abstrus klingt.

Die Bora macht den Wein

Die zweite Traubensorte, die Malvasia Istriana, stammt, wie ihr Name leicht erkennen lässt, von der nahen Halbinsel Istrien, in Wahrheit aber vermutlich ganz ursprünglich aus Griechenland. Unter den zahlreichen Mitgliedern der Malvasia-Familie, auf die man in Südeuropa trifft, gilt diese Variante vielen als die beste, beziehungsweise potenzialreichste. Sie ist mit schöner Mineralität und frischer, zurückhaltender Frucht ausgestattet. Während die Malvasia auch in ihrer namensgebenden Heimat Istrien stark vertreten ist, findet sich die dritte autochthone Traube, die Vitovska, fast ausschließlich am Karst. Bei ihr handelt es sich vermutlich um eine Kreuzung aus der beiden bereits genannten Glera und einer Malvasia, die allerdings nicht dieselbe ist wie die Malvasia Istriana.

Von der Vitovska heißt es, dass sie dank ihres dichten Beerenwuchs besonders angepasst ist an das Karst-Plateau und an die heftigen Winde, die dort bisweilen wehen. Was Malvasia und Vitovska gemein haben ist, dass sie in der Umgebung von Triest häufig auf der Maische vergoren werden. Dabei handelt es sich um eine Technik, die im gesamten ehemaligen Österreichischen Küstenland, also auch im Friaul, in Slowenien und Istrien, bis heute sehr verbreitet ist. Dass diese sogenannten orangenen Weine ausgerechnet in dieser Region so präsent sind, liege nicht zuletzt an den lokalen Traubensorten. Sie eignen sich, wie es heißt, ganz wunderbar für die Spontanvergärung. So sei die Malvasia beispielsweise eine Sorte, die sich nur ziemlich schwer pressen lasse. Belässt man sie allerdings für einige Zeit auf den Häuten, entsteht eine enzymatische Reaktion, die ihre Säfte freisetzt.

Zudem gelangen dieser Art Inhaltsstoffe aus den Häuten in den Wein, welche diesen länger haltbar machen. Dienlich war das zumal in früheren Zeiten, als man noch ohne künstliche Kühlung und ohne Zusatzstoffe, wie etwa Schwefel, auskommen musste. Dass diese eigenwilligen Weine nicht jedem schmecken, liegt in der Natur der Sache. Aber vielleicht verhält es sich mit ihnen nicht viel anders als mit allen anderen Weinen. Denn in Wahrheit macht der Geschmack nur einen Teil des Genusses aus. Mindestens genauso entscheidend ist auch die Gesellschaft, in der man ist. Sowie der Ort, an dem man den Wein trinkt. Und das versöhnt einen dann doch mit dem Terrano.

Text: Georges Desrues

Bilder: Martin G. Wanko

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