Literatur am Siedepunkt: Die Haudegen Don Winslow und James Ellroy geben sich die Ehre. Feiner Lesestoff für schlaflose, überhitzte Sommernächte, meint Martin G. Wanko.
James Ellroy wurde durch die »Underworld USA«-Trilogie zu einem gerne gesehenen Gast im Feuilleton und den Bestsellerlisten. Das sind epische Thriller, in denen er unter anderem die Morde an Martin Luther King und John F. Kennedy neu aufbereitete: »Blut will fließen«, »Ein amerikanischer Alptraum« oder »Ein amerikanischer Thriller« sind Ikonen der US-Literatur und man kann sie auch als Renaissance des Film Noir zwischen zwei Buchdeckeln sehen. Das war vor gut 10 Jahren, danach setzte eine Art Ladehemmung ein. Mit »Allgemeine Panik« will Ellroy es nochmals wissen.
Hollywood von unten
Als Hauptcharakter wird Freddy Otash reanimiert. Tatsächlich handelt es sich hier um eine halbseidene Figur im Dunstkreis des Hollywoods der 1950er-Jahre. Er verdiehnte sein Geld als Polizist, Privatdetektiv und Redakteur im berühmt-berüchtigten Confidential, in dem die dunklen Seiten der Stars offengelegt wurden. Otash ist ein alter Bekannter aus Ellroys Werken, aber nicht nur dort, auch in Roman Polanskis Kult-Film »China Town« diente er als Grundlage für den von Jack Nicholson gespielten Privatdetektiv. In »Allgemeiner Panik« sitzt Freddy Otash seine Sünden im Knast ab und bekommt das dubiose Angebot, wenn er genug aus dem Nähkästchen plaudert, darf er wieder zurück in die Freiheit. Also klappert die Kunstfigur Otash die wichtigsten Stationen seines Lebens ab und gibt überall seinen Senf dazu. Das alles im Stil der seinerzeitigen Hollywood-Boulevardmedien, doch Ellroy verleiht durch die Aufarbeitung der dahinterliegenden Konflikte und einer literarischen Verdichtung der Vorfälle den Geschehnissen ihre eigene Form. Ordnungshalber muss gesagt werden, dass der Autor sein Buch auf Interviews aufbaute, die der mittlerweile verstorbene Otash ihm gegeben haben soll. Das sind jetzt viele Seiten zum Lesen, aber der große Bogen fehlt.
Für Ellroy-Einsteiger ist noch immer »Tanz der Teufel« zu empfehlen, besser bekannt als Hollywood-Drama »L.A. Confidential«. Für Fortgeschrittene erscheint zeitgleich zum Roman das äußerst aufschlussreiche Buch »LAPD’53«. LAPD steht für das berühmte L.A. Police Department und dieses hat ein dementsprechendes Museum, in dem auch ein Haufen Archivmaterial des Departments landete. Eine Auswahl aus dem Jahr 1953 ist das Wesen dieses Buches. Die Fotos bestechen durch den nüchternen Blick der Polizisten, die hier ihren Dienst machten und diverse Tatorte fotografierten. Nicht so genial wie die Fotos der Fotografenlegende Weegee, aber dennoch bekommt man ein Gefühl für die damalige Zeit. James Ellroy verfasste die Begleittexte zu den Fotos zwischen Suizid, Raubmord und einer illegalen Abtreibungsklinik. Ein unersetzliches Zeitdokument.
Bandenkrieg im Fischerstädtchen
Die Fotos der illegalen Abtreibungsklinik bringen einen zur US-Politik der heutigen Zeit, die Abtreibung soll ja in Nordamerika so gut wie verboten werden. Ein Autor, der strikt gegen die Trump-Politik auftritt, ist Don Winslow und Winslow ist im Grunde James Ellroys Erbe. Er perfektioniert quasi Ellroys stakkatoartige Sprachmelodie, bringt die Inhalte äußerst schnell auf den Siedepunkt und siedelt seine Thriller sehr gerne in der Gegenwart an. Die Kartell-Saga, ein Drogenepos im Grenzgebiet zwischen Mexiko und Texas, gehört zum Besten, was in der Thriller-Literatur jemals geschrieben wurde, wie gesagt, wenn man ein Fan von harten und flotten Thrillern ist.
Mit seinem neuen epischen Thriller, »City on Fire«, gesellt sich der Autor an die Küste Rhode Islands seiner Kindheit zurück, in die dreckige Metall- und Fischindustrie Orte, wo sich italienische und irische Banden ein Duell um die Ehre liefern: Der Thriller lebt von einer gut nachzuverfolgenden Blutspur, einmal mehr haben die Protagonisten Narrenfreiheit und ein gewisser Unterhaltungswert ist gegeben. Aber zwischen seiner letzten Veröffentlichung und »City on Fire« liegen Jahre. Winslow nützte die Zeit, um die großen literarischen Werke zu studieren. Grundsätzlich kann es nie schaden sich den Shakespeare reinzuziehen, aber dem Autor scheint dabei seine peitschenden Sprachrhythmen abhanden gekommen zu sein. Bleibt abzuwarten, ob die Leser diesen Weg mitgehen.
James Ellroy – »Allgemeine Panik«, 430 Seiten, Ullstein
James Ellroy – »LAPD‘53«, 217 Seiten, Ullstein
Don Winslow – »City on Fire«, 397 Seiten, Harper Collins
Text: Martin G. Wanko