Kultiviertes Fleisch

Kultiviertes Fleisch acib

Um was geht es?
„Kultiviertes Fleisch“, „Cultivated Meat“ ist ein im Bioreaktor gezüchtetes Fleisch. Als Basis dienen die Stammzellen eines Tieres. Die Stammzellen werden vermehrt und wachsen anschließend zu Muskelfasern zusammen. Im Idealfall steht man am Schluss vor einer großen Menge an kultiviertem Fleisch, das man essen kann. Theoretisch kann man unter derzeitigen Laborbedingungen aus einer Probe von 0,5 cm3 von Muskelgewebe mit bis zu dreißig Teilungen von primären Muskelstammzellen ca. 2.000 kg kultiviertes Fleisch produzieren.

Fleisch ist ziemlich wow! So ehrlich muss man einmal sein. Nur ein Beef Tartar ist nun mal ein Beef Tartar und nur ein Vitello Tonnato ist ein Vitello Tonnato, wenn drinnen ist, was außen draufsteht. Geht alles auch steirisch und nachhaltiger: Sagen wir Bio-Rind Tartar, dazu Vitello Forello, und schon läuft der Laden. Von meinem nachhaltigen Steak will ich jetzt erst gar nicht reden. Aber wir sind eben vom 40plus, den Neuigkeiten immer aufgeschlossen, dem Genuss nicht abgeneigt, und tatsächlich, es kündigt sich etwas an: Kultiviertes Fleisch.

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Nicht nur die Hoffnung keimt
Kultiviertes Fleisch. Das klingt wie sauberes Wasser, grüne Wiesen oder naturbelassene Strände. Es gibt also Hoffnung für den österreichischen Fleischtiger. Cultivated Meat in drei Worten erklärt: Die Stammzellen-Verdoppelung macht im Labor kleinste Fleischteilchen zu ganzen Burgern, bei Steaks ist die Forschung gerade dran, ist aber schwieriger, weil Muskelfleisch schwerer zu erzeugen ist, doch „irgendwann“ werden davon auch unsere Bäuche satt. Das „irgendwann“ hängt damit zusammen, dass in regelmäßigen Abständen der Durchbruch vom Kultivierten Fleisch verkündet wird, dann bleibt der Speiseteller doch blank. Aber die Hoffnung keimt und das in der Steiermark!

Das Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib), angesiedelt in Graz, arbeitet daran, die Forschung ein Stück weiterzuentwickeln. Zwei federführenden Forscherinnen des Teams sind Dr.rer.nat. MBiol. Aleksandra Fuchs und DI Viktorija Vidimce-Risteski. Die Forscherinnen leiten zwei unterschiedliche Projekte, finanziert von der DFK-Privatstiftung und dem FFG COMET-Programm. „In einem Projekt stellen wir tierische Hämoproteine in einer Hefe her, das etwa Anwendung in der Herstellung von alternativen Fleischprodukten finden soll. In einem zweiten Projekt konzentrieren wir uns auf die Herstellung von kultiviertem Fleisch“, so Viktorija Vidimce-Risteski. „Was wir machen, ist, die Hefe so ,erziehen‘, dass sie tierische Hämoproteine und neue Komponenten für die Produktion von Kultiviertem Fleisch herstellen kann. In beiden Projekten verfolgen wir innovative Forschungswege.“

Es geht um die Vielfalt

Die Forschung hätte keinen besseren Zeitpunkt erwischen können – obgleich der Fleischbär in mir revoltiert – denn rund 12 Prozent der von oder für den Menschen verursachten CO2-Emissionen kommen nun einmal von Nutztieren. Grob gerechnet ist das die gleiche Menge CO2-Ausstoß, die wir durch Abgase verursachen. Auch die Futterproduktion für landwirtschaftliche Nutztiere weltweit verbraucht momentan ca. 80 % aller landwirtschaftlich genutzten Flächen und über 70 % aller hergestellter Antibiotika. Kultiviertes Fleisch wird bis zu 95 % weniger Platz und praktisch kein Antibiotikum brauchen. Über das Dosenfutter für Haustiere reden wir jetzt einmal gar nicht, bleiben wir beim Menschen.

Die Fachwelt ist sich einig, Fakten wie diese ebnen den Weg zu Kultiviertem Fleisch. Dazu brauche jetzt niemand Existenzängste haben, ist sich Aleksandra Fuchs sicher, denn in der Forschung wolle niemand die Viehhaltung abschaffen: „Neue Technologien ersetzen nicht schlagartig die alten. Der Fernseher hat das Radio auch nicht ersetzt. Die Welt wird größer, es gibt mehr Konsumenten, die abwechslungsreich essen wollen, und wir wollen eine Alternative schaffen, die uns allen und dem Planeten zugutekommen könnte.“

Gefühlt wird es ein langes Nebeneinander geben, wie in anderen Branchen auch. 1960 kamen die Haribo Goldbären erstmals auf den Markt. Deshalb wird heute aber noch immer Schokolade genascht, gerade die letzten zwei Jahre erhöhte sich der Schokoladenkonsum massiv.

Neues erweckt Neugier

Bill Gates und Virgin-Airlines-Gründer Richard Branson sind bereits auf den Trend aufgesprungen. Bei uns kommen sicher auch bald ein paar klingende Namen dazu. Aber damit der Burger wirklich am Teller landet, fehlt es an der Masse, die auch den Preis senkt. Wann es einen ultimativen Durchbruch geben wird, können die Forscherinnen nicht genau sagen. Es gibt noch einige Hürden, die genommen werden müssen: „Aber technische Ansätze, sie zu nehmen, gibt es bereits. Allgemeines Ziel ist, günstigeres Kultiviertes Fleisch zu produzieren. So kostete im August 2013 der erste Cultivated Meat Burger des niederländischen Forschers Mark Post noch ca. 325.000 Dollar pro Kilo. Vor zwei Jahren war der Kilopreis bei ca. 5.000 Dollar, unser großes Ziel ist, den Preis auf ca. 5 Dollar pro Kilo zu senken.“

„Machst du eine Party vegan, bleibst du meistens alan!“, sagt der gelernte steirische Fleischtiger und ist damit tatsächlich nicht ganz alleine. Laut Umfragen sind zwar 50 % dafür, dass sie Kultiviertes Fleisch einmal beschnüffeln wollen, wenn es einmal da ist, 70 % wollen jedoch lieber beim Fleisch vom Tier mit Fell bleiben. Hier gilt es die Angst vor dem Fremden zu nehmen. Wahrscheinlich am ehesten durch Beispiele. Über E-Autos wurde so lange gelacht, bis der Tesla elegant seine Runden zog. Viktorija Vidimce-Risteski denkt hier ähnlich: „Ein gesundes Misstrauen ist per se nichts Schlechtes, aber Neues erweckt ja auch Neugier – wir wollen ja auch als Wissenschaftler deshalb an die Öffentlichkeit treten, um hier Aufklärungsarbeit zu leisten und die Menschen über dieses Thema zu informieren, damit wir Berührungsängste abbauen.“

Salat lebt auch

Für manche ist der größte Vorteil des künstlichen Fleischerzeugnisses der ethische: Keine Aufzucht, keine Mast, kein Schlachthof – trotzdem, es gibt gewisse Hemmnisse. Ich werde den Verdacht nicht los, dass in der Petrischale das Fleisch doch lebt, sonst könnte es nicht wachsen. Vidimce-Risteski zeigt prinzipiell Verständnis für meine Sorgen: „Das ist eine Grundsatzdiskussion. Denn Hefe lebt ja auch, bevor sie ins Brot oder den Backofen kommt. Auch pflanzliche Zellen, etwa Salatzellen, sind noch am Leben, wenn wir sie essen. Ungefähr so verhält es sich beim Kultivierten Fleisch. In einem Stück Rindfleisch sind die meisten Zellen auch nicht tot, bevor es in die Pfanne kommt.“

Bleibt nur noch, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Zuerst wird die Produktion etabliert, um auf einen vernünftigen Marktpreis zu kommen und erst dann ist das Thema Zulassung relevant. Laut Aleksandra Fuchs wird es eine Zulassung als Novel Food geben müssen – ein Vorteil: „Das bedeutet auch, dass man eine Sicherheitsstudie dazu machen wird, ob das Verzehren dieser Produkte keine Nebenwirkungen hat. Erst dann wird eine Zulassung erteilt: Dieser Prozess schafft wiederum Vertrauen seitens der Bevölkerung und baut Misstrauen ab.“

Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib)
Das Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib GmbH) ist eine internationale Non-Profit Spitzenforschungseinrichtung mit Hauptsitz in Graz. Mit ca. 200 hochmotivierten und bestens ausgebildeten Mitarbeitern bietet das acib über 30 Jahre an Erfahrung. Derzeit führt die Einrichtung mit über 150 Partnern aus Forschung und Industrie nationale und internationale Forschungsprojekte sowie Auftragsforschungen durch. Gefördert wird das K2-Zentrum im Rahmen des COMET-Programms durch das BMK, BMDW sowie die Länder Steiermark, Wien, Niederösterreich und Tirol. Das COMET-Programm wird durch die FFG abgewickelt.

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Dr.rer.nat. MBiol. Aleksandra Fuchs
acib-Forscherin & Wissenschaftlerin am Institut für Molekulare Biotechnologie der Technischen Universität Graz.

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DI Viktorija Vidimce-Risteski
acib-Mitarbeiterin & Forscherin am Institut für Molekulare Biotechnologie an der Technischen Universität Graz.

Text: Martin G. Wanko

Bilder: © acib

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