Die Eulen, der Läufer und der Würstelkren

Wer nicht mehr raucht ist länger froh: Dies ist der 6. Teil von unserer Serie Vom Marlboro Mann zum Marathon Mann. Mehr unter www.40plus-magazin.com

4:30 Uhr. Ich stehe auf und meine Frau blinzelt mich gerade einmal an. Meine Tochter blinzelt nicht einmal. N k Z – Natürlich komatöser Zustand einer Jugendlichen. Hat noch das ganze Leben vor ihren Augen, indem sie es verschläft. Ich soll hier jedoch nicht kleinlich sein, sie scheint hier viel von meinem Erbgut mitbekommen zu haben, eigentlich alles, meint meine Frau. Ja eh, aber endlich habe ich es geschafft. In der Früh raus, wenn andere noch pennen. Das Elisabethhochhaus hinter mir ist noch fast unerkennbar in die Dämmerung getaucht, ein jedes Knarzen der Dielen ist hörbar und füllt das Wohnzimmer aus. Mein Zeug zum Laufen ist über die Stuhllehne gelegt. Pulsuhr, Trinkgürtel., Leiberl, Sporthose und Socken. Ich schalte die Filterkaffeemaschine ein, trinke Wasser, esse eine halbe Banane und gehe auf den Balkon. Es ist wärmer als erwartet. Plötzlich höre ich einen Schwall Autos losstarten und bin im ersten Moment leicht enttäuscht, dass ich nicht alleine auf der Welt bin. Bis ich schlussendlich draußen bin, ist es bereits 5 Uhr und die Stadt ist schon teilweise wach. ich laufe um das Haus und sehe bereits die ersten Menschen mit ihren großen Autos an der Ampel stehen. Naturgemäß alle leicht angefressen, ich glaube, das sind sie den ganzen Tag. Ich lache zurück.

Hinein in den guten, alten Stadtpark. Jetzt bin ich wieder für mich alleine. Nicht, dass ich der Super-Einsiedler bin, aber alleine laufen geht man halt, damit man nicht am Ende des Tages zu zehnt ist. Trotzdem komme ich mir wie zu zehnt vor, also sicher nicht alleine. Ich weiß nicht woran das liegt, Hubschrauber ist keiner am Himmel, der Liebe Gott oder sein Lehrling, Herr Jesus auch nicht. Dennoch schau ich mal nach oben und kaum zu glauben, ich laufe unter Obhut einer Schleiereulenfamilie. Die schaut ganz entspannt meiner Laufeinheit zu, wohlwissend, dass einige Flügelschläge mein Gelaufe in den Schatten stellen würden. Ich laufe weiter an die Mur. Plötzlich kommt mir der Text in den Sinn, „An der Mur, an der Mur, ja was mach ich denn da nur!“. Keine Ahnung von wo der kommt, irgendwie hat der mit der Band Spliff zu tun, falls die noch wer kennt. Und jetzt gerade genieße ich den Moment kein Handy dabei zu haben und nicht einmal auf die Idee zu kommen, nachzuschauen, von wo dieser Gedanke kommen könnte. Ich frag mich auch, warum so viele Menschen zum Beispiel in der Muckibude nach jedem absolvierten Gerät auf ihr Handy schauen. Wer soll anrufen? Arnie? Usain Bolt? Fred Astaire, Audrey Hepburn oder Goofy? Mit Goofy im Kopf laufe ich weiter, danke meinen Göttern, dass ich nie unter der Murbrücke gelandet bin, tatsächlich hausen hier bedauernswerte Menschen.

Ich wählte den Murweg in den Norden von Graz. Rechts neben mir sind noch verlassene Schulen, Turnstangen, Tischtennistische und einige Schritte weiter ein Beachvolleyballplatz, an dem nur die Dellen im Boden auf einen gestrigen, regen Betrieb hinweisen, ansonsten erinnern sie an eine Mondlandschaft. In einem der anschließenden Heimgärten gießt eine alte Frau mit rotem Kopftuch und einer gelben Gießkanne ihre Blumen. Sie muss einsam sein, denke ich mir. Andererseits hat sie vielleicht vier Enkelkinder, viel zu tun und steht darum schon zeitig im Garten Ich überquere den Pongratz-Moore-Steg, das Blech hallt und schallt unter meinen Füßen. Mir kommen zwei Radfahrerinnen entgegen, die lachen und nehmen keine Notiz von mir, ich glaube sie merken nicht einmal, wie der Steg unter ihren Rädern quietscht und ächzt.

Ich laufe über die Brücke, nehme ein Wasser am öffentlichen Trinkbrunnen und freue mich um die Uhrzeit völlig anonym zu sein. Ich laufe zurück in Richtung Stadt. Rechts neben mir ragt der Kalvarienberg aus der Dämmerung, links vor mir kommt Schritt für Schritt der Schloßberg immer näher, als wäre es die Sicht aus einer bewegten Kameraeinstellung. Mir kommt ein Läufer mit einem Schäferhund immer näher. Er hat längeres Haar, als wäre er in einem Abenteuerfilm aus den 1980er-Jahren. Durch seinen Hund, der gemächlich neben ihm hertrottet, wirkt er nicht einsam. Je näher er kommt, desto mehr erkenne ich etwas Vertrautes in seinem Antlitz. Unsere Wege kreuzten sich hier schon öfter. Wir grüßen uns im Vorbeilaufen. In dem Moment bemerke ich, dass meine Stimme rauh ist, als hätte ich 100 Marlboro geraucht, da ich seit über eine Stunde nichts gesprochen habe.

Nun beginnt jedoch die Stadt sichtlich zu leben. Vor dem Kunsthaus gehen zwei Herren in weißen Hosen mit Aktentaschen vorbei. Vielleicht sind das Ärzte, denke ich mir. Auf der Hauptbrücke kreuzen sich zwei gut gefüllte Straßenbahnen und zu meiner linken schimmern die unzähligen Schlösser, die hier junge Menschen befestigt haben. Viele bezeugen das Nahgefühl zu einem anderen Menschen. Es wäre spannend zu wissen, wie viele dieser Menschen noch ein Paar sind. Ich glaube, das liegt über der Hälfte. Am Hauptplatz hat bereits der Gutmann seinen Würstelstand geöffnet. Der Alte dreht den Kren durch die Reibe, ohne gerührt zu sein. In der Apotheke an der Stempfergasse brennt bereits Licht und das Personal ordnet Arzneimittel ein, beim Charly Temmel blitzt die gläserne Eisvitrine und Buchverkäufer André Engelsmann geht zur Buchhandlung Moser am Eisernen Tor. Im Akademischen Gymnasium öffnen sich die Pforten und ich laufe quer über den Tummelplatz, vorbei an der Galerie Kunst und Handel. Im Stadtpark sind einige Herren mit ihren französischen Bulldoggen unterwegs und haben es lustig. Die ersten Sonnenstrahlen gehen zugleich durch die Baumkronen, in dem Moment freue ich mich in der Stadt zu sein und die Stadt in ihrem Aufwachen zu erleben. In der Leonhardstraße laufe ich bei der Weinhandlung Kohlbacher vorbei. Anton bekommt gerade eine Lieferung und winkt mir zu. Schräg gegenüber öffnet Heinz seine Trafik und spannt als Erkennungsmerkmal seinen grünen Sonnenschirm auf. Ich laufe um die Kurve zu mir nach Hause. Christoph der Gitarrenbauer stimmt gerade ein Musikinstrument. In der Musikuniversität werden noch die letzten Momente des rosafarbenen Himmel gespiegelt, die nun im Blau aufgehen und für heute bis zur Abenddämmerung verschwunden sind, aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Text von Martin G. Wanko

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